Herzlich willkommen zu einer neuen Folge der Reihe „Große Probleme brauchen größenwahnsinnige Lösungen“. Heute wollen wir uns mit dem Thema „Wohnungsnot in den Großstädten“ befassen, denn es ist unzweifelhaft, dass es immer mehr Menschen in unsere Metropolen zieht, damit sie dort in das moderne urbane Treiben eintauchen können. Das ist nur allzu verständlich, denn es kann nichts Schöneres geben, als sich Tag für Tag in eine durchschnittliche deutsche Fußgängerzone zu begeben, um dort – vorbeiflanierend an Douglas- und Fielmann-Filialen, an Nordsee- und Burger King-Imbissen, an Zeugen Jehovas- und AfD-Ständen – das Leben zu genießen.

Oder zumindest das Überleben.

Die Fußgängerzone erinnert unser kollektives Unterbewusstsein mit ihrer spärlichen Begrünung – hier ein dürres Bäumchen, dort ein verdorrter Busch – an die Heimat der Menschheit: die afrikanische Steppe. Und genauso heiß ist es hier inzwischen auch, der durchgehenden Vollpflasterung sei Dank. Sie sorgt energiesparend dafür, dass der Boden sich wunderbar aufheizt, um auch im Winter noch seine Wärme abgeben zu können. Auf dass einem auf dem alljährlichen Weihnachtsmarkt nicht fußkalt wird.

Jetzt, in der Sommerzeit, sind es vor allem die vielfältigen Foodtruck-Festivals, die das eingangs angedeutete gastronomische Angebot durch so orginelle wie pseudogesunde Gerichte ergänzen. Hier gibt es nicht einfach Pommes-Schranke, sondern frittierte Süßkartoffel mit Tomaten-Curry-Dip und einem Eier-Öl-Creme-Topic mit einer feinen Senf-Zitronen-Note. Und das alles für einen sehr niedrigen zweistelligen Preis!

Es ist daher leicht zu verstehen, dass immer mehr Menschen in einer Großstadt wohnhaft sein wollen, um sich jeden Tag diesen kulinarischen Genüssen hinzugeben. Leider gibt es nicht genug Häuser, um all diese Personen auch unterzubringen. Wobei der Ausdruck „wohnhaft“ (Betonung auf „Haft“) schon andeutet, dass gar nicht sooo viel Platz nötig ist. Denn wie viel Quadratmeter braucht eine Nasszelle mit Schlafgelegenheit und Kochzeile wohl, um als vollausgebaut zu gelten?

Trotzdem werden wohl einige ältere Gebäude abgerissen werden müssen, um Platz für neuen Wohnraum zu schaffen. Je nach Interessenlage und gesellschaftspolitischer Ausrichtung der Befragten könnten das zum Beispiel Parkhäuser, Bahnhöfe, Gefängnisse oder Mehrzweckhallen sein. Einigkeit besteht wohl nur darin, dass die wabenförmigen Kaufhaus-Filialen (die letzten architektonischen Relikte der guten alten Bonner Republik) beseitigt werden sollten. Deswegen werden sie schon jetzt von verantwortungsvollen Verbrauchern boykottiert. Denn diese wissen: Amazon setzt seine hässlichen Lagerhallen in die nutzlose ländliche Umgebung unserer Großstädte, wo sie niemanden stören. Das nenne ich vorausschauenden Konsum!

Was könnte noch abgerissen werden? Vielleicht die mittelalterlichen Fachwerkhäuser in der Altstadt, die sowieso so schief sind, dass man sich gar nicht mehr traut, an ihnen entlangzugehen? Oder möglicherweise die übergroßen steinernen Kirchen, die schon seit längerer Zeit ebenfalls von den Stadtbewohnern ignoriert werden? Für eine erfolgreiche Sinnsuche braucht man schließlich kein riesiges Haus mit den Bildern eines halbnackten, sterbenden Mannes mehr – da reicht ein Smartphone. Denn im Internet gibt es alles! Auch die vollfunktionsfähige KI-gestützte Buddha-Yoga-App mit automatisiertem Weisheits-Upgrade.

Nur Wohnraum gibt es nicht im Handy. Den gibt es nur in echt. Es sei denn, wir schaffen es tatsächlich irgendwann, unser Bewusstsein in den Cyberspace hochzuladen, dann können wir auf unsere irdischen Körper gut verzichten. Und sie platzsparend auf dem städtischen Friedhof unterbringen. Ob wir dann noch frittierte Süßkartoffel-Stücke genießen können, ist zwar zu bezweifeln, aber die Yoga-App funktioniert einwandfrei. Und die brauchen wir dann auch – so ganz ohne Körper. Sonst wird es schnell langweilig in der digitalen Ewigkeit.

 

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