Es ist nicht schön, von einem Erdbeben geweckt zu werden, aber ich habe es mir auch schlimmer vorgestellt. Der Boden vibriert leicht, und etwas Putz fällt mir auf den Kopf. Ich schüttle ihn ab, öffne die Augen und blicke an die Decke. Da – es rummst schon wieder.

Und dann fällt’s mir auch wieder ein. Der Mensch, wenn ich mal von mir auf andere schließen darf, ist ja ein Meister im Verdrängen, und so vergesse ich jeden Abend wieder, dass da Handwerker im Haus sind. Sie bauen den Dachboden über uns aus, schaffen also Wohnraum, was von der Grundidee her ja eigentlich nicht völlig falsch ist. Nur, muss das in diesem Haus sein? Direkt über uns? Hätten sie das nicht auch schon vor Jahren machen können, als ich noch ganz woanders gewohnt habe? Und müssen sie immer die Balken auf den Fußboden werfen? Mit voller Wucht? Und mit Absicht? Und könnten sie nicht endlich mal einen anderen Radiosender einstellen? Vielleicht einen ohne diese Rock- und Popmusik, die mir schon nicht gefallen hat, als sie noch in war? Warum darf denn nicht der nette junge Mann mit dem riesigen Ohrring und der Napalm Death-Wollmütze die Musik aussuchen? Würde das nicht auch besser zu der doch recht lauten Tätigkeit passen, die die Handwerker nun mal zu leisten haben?

So denke ich träge vor mich hin und versuche mich währenddessen damit abzufinden, dass ich nun wach bin und auch nicht wieder einschlafen kann, bevor hier Ruhe im Karton bzw. im Haus ist. Dann wird’s noch lauter, weil nämlich meine Tochter ebenfalls wach geworden ist und sich durch „Mama! Maamaa! Maaamaaa!“-Rufe ins Gedächtnis zu bringen versucht. Zwischen den Geräuschen fallender beziehungsweise landender Balken höre ich also meine Tochter rufen. Und bin ich jetzt etwa beleidigt und lasse sie schreien, weil sie ja schließlich nicht mich, sondern meine Freundin ruft? Nein, das bin ich nicht. Schade eigentlich.

Ihre Mutter ist auch gar nicht da, sondern bei der Arbeit, wie es sich gehört für eine anständige Frau. Ihr Quasi-Gatte kann dann schließlich ausschlafen, zumindest wenn er sehr gute Kopfhörer hat oder sich eine Familienpackung Ohropax in die Gehörgänge stopft. Und es ihn außerdem nicht stört, in regelmäßigen Abständen durch dezente Erdstöße in die Luft geschleudert zu werden.

Also stehe ich auf, erkläre Nele, dass ihre Mutter bei der Arbeit ist und erst heute Nachmittag zurückkommt, und dass ich ihr Papa bin, der auch gar nicht so schlecht ist, auch wenn sie meine Visage einmal öfter sehen muss. Das scheint sie nicht unbedingt zu überzeugen, aber der angebotene Kakao ist ganz okay, den nimmt sie. Nach unserem gemeinsamen Frühstück – es lohnt sich nicht, die Kaffeetasse ganz zu füllen, da sie in regelmäßigen Abständen überschwappt – verlasse ich mit ihr fluchtartig das Haus und besuche meinen Schwager, der nicht nur ebenfalls Vater, sondern auch noch Tagesmutter ist.

In entspannter Atmosphäre kippen wir Kaffee in uns hinein und führen Gespräche über Schallplatten, Schauspieler und Schaumweine – die klassischen Elternthemen also. Währenddessen streitet sich Nele mit ein paar anderen Gören um die Benutzung eines Puppenwagens. Der Teddy, der die Rolle des Babys übernehmen muss, scheint uns mit seinen Knopfaugen anzuflehen, doch wir lachen ihn nur über ihn.

Gegen Mittag brechen Nele und ich dann auf. Schon als wir uns dem heimatlichen Mietshaus nähern, glaube ich, leichte Vibrationen spüren zu können. Die Handwerker machen also noch keine Mittagspause. Eigentlich machen sie nie Mittagspause. Der Vorsitzende des Verbandes deutscher Unternehmer und Ausbeuter wäre begeistert.

Wir betreten unsere Wohnung und ich gucke betreten. Der Riss dort in der Wand, war der vorhin auch schon da? Und die Wohnzimmermöbel stehen doch auch ein kleines bisschen anders als vorher, sie scheinen gewandert zu sein. Vielleicht sollte ich doch noch mal hochgehen und höflich fragen, ob es nicht möglich wäre, falls es keine allzu großen Umstände macht, vielleicht, eventuell, möglicherweise…

Und wie immer würde ich offene Türen einrennen, denn natürlich würden die Handwerker kurz mal leise sein. Eine viertel Stunde oder so – um dann, erfrischt, belebt, gestärkt und mit doppelter Geschwindigkeit wieder loszulegen. Irgendwie habe ich sowieso den Eindruck, dass sie mich nicht ganz ernst zu nehmen scheinen – mich, den hauptamtlichen Vater („Der wechselt die Windeln und macht die Scheiße weg, hihihi!“, höre ich sie nachts in meinen Alpträumen kurz vor dem herbeigebombten Aufwachen gniggeln). Genauso gut könnte ich in einem rosa Rüschenkleid vor ihnen auf- und abtanzen, und sie singend zu der Melodie von „Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür“ dazu auffordern, sich an die Mittagsruhe zu halten.

Ich entscheide mich also gegen diesen Bittgang und habe sogar Glück, denn Nele schläft nach kurzer Zeit doch noch ein. Nach dem Mittagsschlaf essen wir wieder und spielen miteinander, auch wenn die Legotürme nie sehr lange stehen. Ich bin froh, dass die Ausbauarbeiten auf dem Dachboden bald beendet sind. Und da es aber auf Feierabend zugeht, werden die Balkenweitwerfer über uns sogar etwas leiser.

Doch plötzlich nimmt der Geräuschpegel wieder zu. „Klack, klack, klack“ höre ich und „badam, badam, badam“ und „tapp, tapp, tapp“. Der Lärm kommt aus dem Treppenhaus.

Ich wage einen tollkühnen Blick durch den Türspion. Ein Mann in Lederjacke und mit schweren Motorradstiefeln geht … nein: marschiert vielmehr an unserer Wohnung vorbei. Richtung Dachboden. Ihm folgt ein Frau in Schuhen mit so lauten wie hohen Absätzen. Dahinter trottet ein kleines Kind in Holzpantoffeln. Dahinter noch eins, etwas jünger, aber auch in Holzpantoffeln. Dann noch eins, auch in Holzpantoffeln, und dann noch eins… nein, nicht in Holzpantoffeln, sondern in Steppschuhen. Das Mädchen tanzt steppend bzw. steppt tanzend – auf jeden Fall sehr laut – die Treppe hinauf. Das müssen die neuen Mieter sein! „Mama! Maamaa! Maaamaaa!“ höre ich Nele rufen.

Ich breche vor der Tür zusammen und in Tränen aus.

Die frohe Botschaft