Kürzlich postete ich über meinen Social Media-Account das Fotos eines veganen Burgers, der mir vor einigen Wochen von Freunden bei einem Grillabend kredenzt worden war. Ich schrieb dazu einen irgendwie launigen Text, mit dem ich eigentlich eine Lesung von mir bewerben wollte.

Auf die Veranstaltung ging niemand ein, sehr wohl jedoch auf den armen Burger. Er sähe unappetitlich aus, wurde mir mitgeteilt, insbesondere die Linsenbeilage. Überhaupt sollten sich Veganer mehr Mühe geben mit den Gerichten, die sie wagen, der Öffentlichkeit zum Verzehr anzubieten. Mit mittelmäßigen Rezepten mache man doch keine Werbung für vegane Kost! Da esse man doch lieber weiter Fleisch. Das sähe wenigstens gut aus.

Ich dachte an meine Freunde, die mich zu dem Grillabend eingeladen hatten. Und die mehrere Stunden an dem Bratling, den Brötchen und der mit Minze, Ingwer und Chili verfeinerten Linsenbeilage gewerkelt hatte. Ich hoffte, dass sie das den Verriss ihres Burgers nicht mitlesen würden. Nur weil ich mal eben ein dilettantisches Foto davon in einem sozialen Netzwerk geteilt hatte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich damit „provozieren“ würde. Denn Witze übers Essen seien immer ein Problem und immer und eine Provokation, wurde mir mitgeteilt.

Wirklich? Ist das so? Und wenn ja warum?

Früher wurde sich in Deutschland hauptsächlich über die religiöse Zugehörigkeit definiert. Entsprechend des Bekenntnisses gehörten die Menschen bestimmten Kirchen an. Und deren jeweiligen Vorfeldorganisationen: von der Jugendgruppe über den Frauentreff bis zum Männerchor. Sogar Berufs- und Wohlfahrtsverbände (und mit dem katholischen Zentrum sogar eine Partei) waren innerhalb religiöser Bekenntnisse organisiert. Später löste die politische Anschauung diese Zuordnungen nach und nach ab. Es entstanden Arbeiterbewegung und Volksparteien. Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberale schufen dabei ihre je eigenen gesellschaftlichen Blasen. Der Kontakt zu Menschen außerhalb der eigenen Peergroup war damals relativ gering. Und wenn man doch mal aufeinander traf, sprach man nicht über Politik. So wie vorher nicht über Religion gesprochen worden war. Das waren Tabuthemen!

Heute sollte man nicht übers Essen sprechen. Denn die Zugehörigkeit zur jeweiligen Mischpoke wird anscheinend über die von mir bevorzugte Kost definiert. Man ist, was man isst. Esse ich lieber Pflanzenfasern bin ich ein „intoleranter Veganer“! Schlage ich meine Reißzähne gerne in ein blutiges Steak, bin ich ein „rechtspopulistischer Klimaleugner“. Da ist kaum noch Verständigung möglich. Die einen sehen es als einen persönlichen Angriff an, wenn man genüsslich einen Salat mümmelt, die anderen wenden sich angeekelt ab, wenn ein knopfäugiges Spanferkel vernascht wird.

Das ist fatal, wenn man bedenkt, dass Liebe durch den Magen geht. Und dass das Einnehmen gemeinsamer Mahlzeiten Verbundenheit schafft. So sind wir humanoiden Rudeltiere nun mal. Wenn wir zusammen essen, leben wir auch zusammen. Und wenn wir getrennt essen, fehlt uns umgekehrt genau dieses Gruppenerlebnis.

Nun lässt sich schlecht ein gemeinsamer Nenner finden. Denn eine ethisch argumentierende Veganerin bringt es nun mal nicht übers Herz, ein Tier zu verschlingen. Auch nicht in Form von „nur ein bisschen Speck“. Passionierte Karnivoren sehen hingegen pflanzenbasierte Bratlinge als Anschlag auf ihre Gesundheit an – mindestens jedoch auf ihre Geschmacksnerven.

Oder ist es sogar so, dass sich politische Zugehörigkeit über die Ernährungsgewohnheiten definiert? Ist Politik und Kulinarik das gleiche? Sind Veganer liberal und progressiv, Karnivoren hingegen konservativ und traditionell? Wird der politische Kulturkampf am Küchenherd ausgefochten?

Oder wäre es nicht sinnvoller, dieses Thema etwas nicht noch weiter hochzukochen? Sind nicht andere Topics viel wichtiger, die ganz unabhängig davon sind? Wirtschafts- und Sozialpolitik zum Beispiel? Denn wie diese gestaltet sind, bestimmt letztlich unsere Lebensbedingungen. Sind die Streitigkeiten am Kantinentisch am Ende bloß Scheingefechte?

Ich werde mal meine Social Media-Freunde befragen. Und vielleicht dazu das Bild eines leckeren Schnitzels posten.

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