„Da ist ein Anruf für Sie.“ Die Krankenschwester guckt etwas irritiert. Ich auch: „Ein Anruf? Jetzt?“
Anita hat ganz andere Sorgen. Was nicht zu überhören ist. Sie kreischt wie am Spieß. Was man eben so tut in einem Kreißsaal.
Ich gehe in den Vorraum. Die Schwester reicht mir den Telefonhörer.
„Hallo. Hier ist Sabrina. Wir wollten wissen, wie es Euch geht und warum das so lange dauert…“
„Also… Sie liegt immer noch in den Wehen“, antworte ich etwas kurz angebunden.
„Wir sitzen hier alle und warten…“, sagt sie. Als ob ich das ändern könnte!
„Ich muss jetzt wieder rein“, lüge ich.
Denn eigentlich muss ich gar nicht wieder rein, zumindest habe ich den Eindruck, weitgehend überflüssig zu sein.
Als ich den Kreißsaal betrete, kreischt Anita gerade mal nicht. Sie holt nämlich Luft, um Sekunden später um so lauter zu brüllen.
Zwischen Luft holen und schreien findet sie noch Zeit, die Hebamme zu beschimpfen, die dies mit erstaunlicher Gelassenheit hinnimmt. Vielleicht gehören Wörter, die sich der Niederschrift verweigern, zum guten Ton im Kreißsaal.
Müdigkeit überfällt mich, Anita ist ja mit Schreien und Schimpfen beschäftigt, ich dagegen habe gar nichts zu tun. Ab und zu tupfe ich ihre Stirn ab, weil mir das im Geburtsvorbereitungskurs so beigebracht worden ist. Anita schüttelt den Kopf: „Lass das!“
Daraufhin lasse ich es und überlege, was ich sonst tun könnte. Ich sage beruhigende Dinge, wie: „Das machst du ganz toll. Super! Weiter so. Und atmen, atmen…“ Ich weiß nicht, ob sie mir zuhört.
Dann versuche ich, mitzuatmen, auch das habe ich im Geburtsvorbereitungskurs gelernt. Irgendwie komme ich mir albern vor, weshalb ich damit aufhöre.
Anschließend ist mir sehr langweilig. Fast schlafe ich ein, zumindest fallen mir die Augen zu. Und der Automaten-Kaffee schmeckt auch nicht.
Nur wenige Stunden später ist das Kind dann endlich da.
Unsere Tochter ist wunderschön: Klein, bläulich und schrumpelig. Ihre Nase sieht aus wie die eines Profiboxers.
Ich bin ehrlich begeistert.
Anita auch.
Das Neugeborene nicht. Zwar hat ihre Mutter aufgehört zu schreien und zu schimpfen, doch diesen Part übernimmt sie jetzt selbst. Die Familienähnlichkeit ist verblüffend.
Nach einiger Zeit werden Mutter und Kind in ein Krankenzimmer gefahren. Nur ich muss laufen, obwohl ich doch auch schon die ganze Nacht wach bin.
Nachdem Nele an der Brust ihrer Mutter getrunken hat, schläft sie ein. Endlich Ruhe.
Ich rufe ein paar Leute an, meine Eltern und Anitas Sippe. Sabrina nimmt ab und ich verkünde ihr die frohe Botschaft.
Sie gibt diese gleich an die im Hintergrund hockende Verwandtschaft weiter, die aufschreit, als hätte Deutschland in einem WM-Spiel im Elfmeterschießen den Siegestreffer erzielt. Sie stimmen Stadiongesänge an und blasen Fußballtröten. Vielleicht machen sie sogar La Olas.