Wie wäre eine Welt, in der es keine Staaten mehr gibt? Oder nur noch einen einzigen? Einen Staat, der individuelle Freiheit und soziale Gleichheit garantiert? In dem es Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit gibt? In dem wirkliche Demokratie herrscht? Und die Wirtschaft dem Menschen dient? In dem es keine Kriege gibt, ja noch nicht einmal Verbrechen in erwähnenswerter Weise? In dem es daher auch nur noch sehr wenig Polizei gibt?

Sie können sich das nicht vorstellen? Warum nicht?

1820 hat sich kaum jemand ein einiges Deutschland vorstellen können. Es kam dann doch, fünfzig Jahre später. 1920 hat sich kaum jemand ein einiges Europa vorstellen können. Dreißig Jahre später wurden die Grundlagen für die Europäische Union gelegt. Und jetzt wird es endlich Zeit, in größeren Dimensionen zu denken!

Als erstes müsste endgültig die europäische Einigung vollzogen werden. Die Zerstückelung unseres Kontinents in Nationalstaaten ist lächerlich. Der Austritt eines solchen aus der EU, wie mit Großbritannien geschehen, ist noch viel lächerlicher. Dieser winzige Staat will es tatsächlich mit den bestehenden und kommenden Großmächten USA, Russland, China, Indien und Brasilien aufnehmen? Was für ein Blödsinn!

Die Vereinigten Staaten von Europa… Ja, das hört sich utopisch an, ich gebe es zu. Aber auch die alte Tante SPD war utopisch, als sie 1925 (sieben Jahre nach Ende des Weltkriegs) in ihrem Heidelberger Programm „für die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa“, eintrat, „um damit zur Interessensolidarität der Völker aller Kontinente zu gelangen.“ Und der konservative Politiker Konrad Adenauer sagte 1946, unter dem Eindruck der grauenhaften Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs: „Ich hoffe, daß in nicht zu ferner Zukunft die Vereinigten Staaten von Europa, zu denen Deutschland gehören würde, geschaffen werden, und daß dann Europa, dieser so oft von Kriegen durchtobte Erdteil, die Segnungen eines dauerhaften Friedens genießen wird.“

Man muss Adenauer diesbezüglich durchaus zustimmen! Die Vereinigten Staaten von Europa werden den Frieden auf diesem Kontinent langfristig sichern. Und ich würde sogar noch weiter gehen: Um Steuerschlupflöcher zu stopfen und Diktaturen langfristig zu verhindern, braucht es den ganz großen Wurf: eine demokratische Weltrepublik. Das ist ja noch viel utopischer! Gewiss. Aber auch die Französische Republik, die Vereinigten Staaten von Amerika und das wiedervereinigte Deutschland waren Utopien. Und doch wurden sie verwirklicht. Dem Ende der Weltreiche wird früher oder später das Ende der klassischen Nationalstaaten folgen, an deren Stelle kontinentale Zusammenschlüsse treten, die zusammen die Vereinigten Staaten der Erde bilden werden. Je eher wir einsehen, dass das passieren wird, desto besser ist es!

Yuval Harari vertritt in seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ die These, dass es nur eine echte Tendenz in der Weltgeschichte gibt: nämlich die, dass die Menschheit zusammenwächst. EU und Europarat, NAFTA und Mercosur, ASEAN und Afrikanische Union sprechen für diese These. Genauso wie die UNO und die Vorläuferorganisation Weltbund. Konsequenterweise wird daher die Errichtung einer Demokratischen Weltrepublik das langfristige Ziel sein, mit den Vereinigten Staaten von Europa und anderen kontinentalen Zusammenschlüssen als wichtigen Etappen. Staaten wie China und Indien mit ihren jeweils über eine Milliarde Einwohnerinnen geben den Takt vor. Das ist die Größe, an der wir uns zu orientieren haben, wenn Europa mitreden will.

Utopisch ist es also, zu glauben, dass wir zurück zum Kleinklein der Nationalstaaten könnten. Wobei es eben im Falle von Großbritanniens EU-Austritt kein Zurück ist, sondern nichts weiter als ein Verfall, denn Großbritannien war in der „guten alten Zeit“ (die niemals eine gute alte Zeit war) kein kleiner Nationalstaat, sondern Zentrum eines Weltreichs, das Teile Europas, Amerikas, Afrikas, Asiens und ganz Australien umspannte. Nun sind die Briten auf eine winzige Inselgruppe beschränkt, deren einzelne Regionen nach Unabhängigkeit streben – um sich vermutlich schließlich wieder der EU anzuschließen.

Europa, wir kommen! Welt, wir kommen!

Erich Mühsam reloaded

Axel Klingenberg: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!