Das junge Glück denkt selten an die Spätfolgen, wenn es glitschig und verschwitzt die Nächte durchpoppt, nur an den aktuellen Spaß. Eigentlich denkt es während dieser Zeit gar nicht, weil ausschließlich die tierischen Triebe regieren.
Monate später ist er da, der kleine Matz, Fratz oder Spatz. Ja, und plötzlich stellt man fest, dass die guten Freunde und Mitbewohner Kinder ziemlich doof finden, denn so kann man nicht gemütlich und in aller Ruhe kiffen und trinken. Und nachts um eins volle Kanne Punkrock, Techno oder Death Metal hören geht auch nicht mehr. Der oder die Kleine soll ja schlafen. Als ob es das nicht auch morgens tun könnte, so wie alle anständigen Langzeitstudenten.
Also lebt man sich auseinander, zieht aus der WG aus und mit dem Partner oder der Partnerin zusammen und dann passiert es: Die eigene Familie wird wieder wichtig. Denn zumindest die Großeltern sind begeistert und akzeptieren nun auf einmal und ohne mit der Wimper zu zucken, den stets schwarz gekleideten De-facto-Schwiegersohn oder die bunthaarige, benasenringte Quasi-Schwiegertochter, auch wenn der oder die immer so seltsame Ansichten hat. Immerhin ist das ersehnte Enkelkind nun da – und damit ist in der Regel alles gut!
Das irgendwie nun nicht mehr ganz so junge Glück profitiert ja auch davon: Denn die Oma nimmt das Enkelkind doch ganz gerne mal zu sich, auch über Nacht und vielleicht sogar übers Wochenende, womöglich sogar für ein paar Tage Zeit, die man nutzen kann, um ins Kino, ins Theater oder auf ein Konzert zu gehen. Anschließend kann man dann die Nächte verschwitzt und glibschig durchpoppen.
Im Gegenzug muss man die Eltern beziehungsweise Schwiegereltern natürlich auch mal zu Besuch bitten, auch wenn die immer so seltsame Ansichten haben, oder sich von ihnen einladen lassen. Plötzlich tauchen auch die Schwestern oder Brüder wieder auf und senden lustige Einladungskarten zu Geburtstagen, Rosenhochzeiten, Taufen und Konfirmationen. Jetzt weiß man, dass man dazu gehört. Ob das allerdings wirklich ein Grund zur Freude ist, ist allerdings nicht so richtig sicher.
Die alten Freunde und Mitbewohner waren ja auch so etwas wie eine Familie – nur eine, die man sich eben ausgesucht hatte. Man hat sich auch gestritten, aber über andere Dinge, und über vieles war man sich doch irgendwie einig. Auf den Geburtstagen, Rosenhochzeiten, Taufen und Konfirmationen muss dagegen wieder die allerletzte Selbstverständlichkeit ausdiskutiert werden und zu allem Überfluss merkt man, warum einem der große Bruder oder die kleine Schwester schon früh so unglaublich auf den Senkel ging.
Nachdem man ein paar Mal auf solche Einladungen hereingefallen ist, sich gestritten und wieder vertragen hat, beschließt man schließlich, bestimmte Dinge einfach nicht mehr anzusprechen. Das fängt bei der Politik an und hört bei den Themen Arbeit und Soziales noch lange nicht auf. Ganz und gar nicht, denn die Liste wird von Mal zu Mal länger. Sie umfasst bald auch Kultur und Unterhaltung, Sport und Drogen sowie Ernährung und Erziehung. Von dem fürchterlichen Sommerurlaub mit den Eltern in Damp 2000 und dem fast noch furchtbareren Weihnachtswichteln des Turn- und Sportvereins Klein Bumsdorf will man eigentlich erst recht nichts mehr wissen. Das hatte man doch schon alles so erfolgreich verdrängt!
Leider ist es jedoch üblich in Deutschland, dass Familienfeiern meist mit kollektivem Alkoholkonsum verbunden sind. Dieser lockert bekanntlich die Zunge und schon legt das lose Mundwerk los und schon ist er da, der Familienkrach. Warum durftest du auf eine Privatschule und ich nicht? Warum durftest du so lange wegbleiben und ich nicht? Warum musste ich immer in deinem Badewasser baden und deine hässlichen Klamotten auftragen? Und am Ostermontagmorgen, nachdem man am Abend zuvor so schön abgestürzt ist, muss man sich dann fragen lassen, wann man denn nun eigentlich erwachsen werden will.
Spätestens dann sehnt man sich zurück nach der eigentlichen Familie: den Freunden und Mitbewohnern. Endlich mal wieder über richtige Dinge streiten – den Abwasch zum Beispiel –, das wäre doch mal was.